Quo vadis Standort Deutschland nach der Kanzlerwahl

Mit der Kanzlerwahl haben die Koalitionspartner leider eine Schockwelle gesendet, die nicht ohne Folgen bleiben wird, wenn jetzt nicht konkret gegengesteuert wird. Umso wichtiger wird nun sein, die ausgerufene Vertrauenskultur bei den Unternehmern zur „Wirtschaftswende“ auch mit einer Roadmap zu unterlegen, die verbindliche Prioritätensetzungen mit definierten Zeitfenstern bei den Standortreformen zur Reduzierung der Energiekosten, beim Bürokratieabbau und Maßnahmen zur Entlastung der Unternehmenssteuern enthält. Mindestens ebenso wichtig aber sind auch grundlegende Strukturreformen in der Sozialversicherung. Bis jetzt konnte man sich im Koalitionsvertrag ja noch nicht einmal zu einer Haltelinie beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Richtung 40 % Marke durchringen, so dass nicht nur die Haushalts- sondern auch die Belastungsrisiken sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer in diesen Bereichen noch größer geworden sind. So drohen die Sozialbeiträge weiter zu steigen und bald könnten sie über 50 % liegen, fürchten Experten. Damit aber werden die Beschäftigten in den kommenden Jahren weniger Netto vom Brutto haben und die Arbeitgeber noch höhere Lohnnebenkosten. Die Arbeitgeber werden versuchen, soweit möglich, die zusätzlichen Kosten über Preissteigerungen weiterzugeben.  Damit bahnt sich eine gefährliche Lohn-Preisspirale an, die noch größer wird, wenn die Gewerkschaften – was zu erwarten ist – eine Kompensation der steigenden Sozialversicherungsbeiträge durch entsprechend höhere Lohnabschlüsse in Tarifverträgen durchsetzen. Auf jeden Fall würde sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit bei den Arbeitskosten zu Lasten der Unternehmen noch einmal dramatisch verschlechtern und dies in Zeiten, in denen wir im internationalen Vergleich das niedrigste Volumen der Arbeitszeit haben und insgesamt die Arbeitsproduktivität über die Jahrzehnte hinweg immer langsamer zugelegt hat und in den letzten beiden Jahren sogar stagnierte. Die vorbezeichneten Wirkungszusammenhänge sind im Übrigen allen seit langem bekannt, deshalb ist das derzeitige Unterlassen einer Reformagenda zu den Sozialversicherungssystemen in keinster Weise akzeptabel. Insgesamt enthält der Koalitionsvertrag zu viel „wollen“ (fast 300x) und wenn das Wort „werden“ einmal benutzt wird, dann wird es zu wenig konkret. Sehr kritisch sehen die Unternehmer darüber hinaus den Finanzierungsvorbehalt für alle geplanten Maßnahmen. So könnte der künftige Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil bei jeder Maßnahme des Wirtschaftsministeriums oder anderer Ministerien vor deren Umsetzung zunächst einmal sein Veto einlegen, sodass der Kanzler im Worst Case sogar immer wieder die Vertrauensfrage stellen müsste. Der Vorbehalt könnte damit zum Spielball ideologischer bzw. parteitaktischer Auseinandersetzungen werden, auf jeden Fall birgt er ein hohes Streitpotenzial über die Deutungshoheit der Geeignetheit und Erforderlichkeit der notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftswende in sich. Vor diesem Hintergrund sollten sich die Koalitionspartner zuallererst auf ein gemeinsames Leitbild verständigen und dabei die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in den Mittelpunkt ihres Handels stellen. „Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts“. Welche Konsequenzen ein Unterlassen haben kann, hat uns die Ampelkoalition in der Vergangenheit nur zu deutlich gezeigt. Koalitionsinterne Richtungsstreitigkeiten müssen aber auch deshalb unbedingt vermieden werden, weil den Unternehmen bei der dramatischen wirtschafts- und völlig instabilen geopolitischen Lage unverzüglich Planungssicherheit, d.h. konkret Verbindlichkeit und Rechtssicherheit benötigen. Das Zeitfenster zum Handeln hat sich damit faktisch auf null reduziert. Aus dem täglichen öffentlichen Diskurs sollte mittlerweile jedem klar geworden sein, dass kein Unternehmer Investitionen in die Zukunft vornehmen wird, wenn er keine verbindlichen Rahmenbedingungen für sein Geschäftsmodell vorfindet, die ihm eine Rendite am Standort ermöglicht. Für eine positive Zukunftsprognose des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist und bleibt deshalb eine angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik alternativlos, wenn die Wirtschaftswende gelingen soll. Fazit: Jetzt müssen die Koalitionspartner durch konkretes Handeln den Beweis antreten, wie ernst es der Politik mit der viel beschworenen Wirtschaftswende ist.