Presseerklärung von Andreas Tressin zu den Home-Office-Plänen von Arbeitsminister Heil
Der Geschäftsführer der Unternehmerverbände Rhein-Wupper hat die Home-Office-Pläne von Arbeitsminister Heil zu einem Rechtsanspruch auf Home-Office aufs Schärfste kritisiert. Immer neue Beschränkungen und Einschränkungen gegen die Wirtschaft mögen vor allem bei den SPD-Politikern populär sein, sie führen aber im Ergebnis zu immer mehr Belastungen und Bürokratismus und damit zu immer weniger Produktivität in den Unternehmen. Ein zwingendes Regulierungsmandat des Arbeitsministers kann Tressin in der gelebten betrieblichen Praxis jedenfalls nicht erkennen, ebenso wenig ist der suggerierte Generalverdacht gerechtfertigt, die Arbeitgeber würden sich gegen alles und jeden beim Home-Office wehren. Das Gegenteil ist der Fall. Der Zahlen-Daten-Fakten-Check bei allen im Oktober 2021 vom Ifaa (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft) analysierten Studien belegt nämlich die Kernaussage, dass sich der Home-Office-Anteil unter den abhängig Beschäftigten 2021, mehr als verdoppelt haben dürfte und die Arbeitgeber diese Form der Arbeit in den nächsten Jahren zumindest phasenweise beibehalten wollen.
Richtig ist, dass es große Unterschiede bei der Umsetzung hinsichtlich der jeweiligen Betriebsgröße gibt. So sind Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigen beim Ausbau eher zurückhaltend, von ihnen tendiert nur etwa jeder fünfte Betrieb wegen mangelnder Umsetzbarkeit zu mehr Home-Office. Anders bei den großen Firmen: Dort wollen knapp zwei Drittel mehr Home-Office als in der Zeit vor der Pandemie anbieten.
Heil kündigt einen modernen Ordnungsrahmen an, um mehr Flexibilität zu schaffen, und zwar nicht nur dauerhaft, sondern sogar auch mit der Option für jeden Arbeitnehmer gelegentlich von zuhause zu arbeiten. Der Arbeitsminister greift damit tief in die Arbeitsabläufe und Strukturen der Betriebe ein. Zur Begründung will er rechtlich Klarheit schaffen. Ich prophezeie, dass ihm dies nicht gelingen wird. Im Ergebnis sind nämlich passgenaue individuelle Lösungen gefragt, die man aber ausschließlich im Betrieb findet und die im Gesetz in der ganzen Bandbreite möglicher Organisationskonzepte gar nicht abbildbar sind. So wissen wir z.B. im Moment bei der Umsetzung der drei großen „Ds“ (Dekarbonisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel) doch gar nicht, wie die künftigen Wertschöpfungsketten und damit die Organisationsstrukturen einschließlich der hierfür erforderlichen neuen Techniken und Anforderungsprofile überhaupt aussehen sollen. Hinzu kommt, dass die Lücke zwischen Ruheständlern und neuen Arbeitskräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt laut einer aktuellen IW-Erhebung deutlich steigt. So sollen allein in diesem Jahr über 300.000 Personen mehr in den Ruhestand gehen, als in den Arbeitsmarkt eintreten; bis 2030 summiert sich die demografische Lücke am Arbeitsmarkt auf 5 Millionen Menschen. Wie soll das vorhandene Arbeitsvolumen in dieser Gemengelage dann überhaupt noch effizient und produktiv organisiert werden. Noch schwieriger wird es, wenn den Arbeitnehmern zusätzlich das Recht eingeräumt werden soll, möglicherweise sogar nur gelegentlich von zuhause aus zu arbeiten. Wie will ein Arbeitgeber in diesen Strukturen die Aufrechterhaltung der Lieferketten gegenüber seinen Kunden garantieren bzw. wie soll er kurzfristig Vakanzen bei Krankheit und Urlaub kompensieren. Sollen etwa all die vorgenannten Sachverhalte im Streitfall verbindlich von den Arbeitsgerichten ggf. über den gesamten Instanzenweg entschieden werden? Ein individueller Anspruch für den einzelnen Arbeitnehmer würde nach alledem die personalpolitische und arbeitsorganisatorische Balance in der betrieblichen Praxis und damit auch den Betriebsfrieden massiv gefährden.
Ich kenne im Übrigen keinen Arbeitgeber, der bei entsprechender Eignung des Arbeitsplatzes und des Arbeitnehmers ein Home-Office dann auch nicht umsetzt. Bei wieder streitenden Interessenlagen muss es jedoch aus den vorgenannten Gründen der unternehmerischen Entscheidung vorbehalten bleiben, wo Beschäftigte ihre Arbeitsleistung erbringen.
Nach Auffassung von Tressin ist das ganze Thema nicht zuletzt auch deshalb so emotional, weil der Arbeitsminister ohne sachlich gerechtfertigte Gründe massiv in die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit eingreift, die es den Vertragsparteien gestattet, nicht nur Verträge abzuschließen oder auch nicht, sondern auch den Erfüllungsort der Arbeitsleistung zu vereinbaren.
Offensichtlich hat die Halbwertzeit des ausgerufenen Konsensmodells der Ampel eine nur ganz kurze Dauer. Im Arbeitsrecht jedenfalls scheint man sich schon jetzt über die Deutungshoheit von Koalitionsvereinbarungen zu streiten. Heil will ganz offensichtlich mit seiner Forderung das ursprüngliche Parteiprogramm der SPD durchsetzen. Jedenfalls sieht der Koalitionsvertrag nicht die Schaffung eines Rechtsanspruches, wie von der SPD vor den Wahlen gefordert, vor, sondern lediglich einen Erörterungsanspruch. Das Arbeitsrecht soll damit zum Prüfstein darüber werden, welche ordnungspolitische Richtung die Ampel bei der Umsetzung der drei großen „Ds“ eingehen will. Konkret: Mehr Regulatorik und damit Bürokratie wie vom Arbeitsminister gefordert, oder mehr Anreize für Eigeninitiative und betriebliche Gestaltungsfreiheit der Betriebsparteien. Die Beratungs- bzw. Umsetzungspraxis zeigt jedenfalls, dass Home-Office nur dann „stressfrei“ funktioniert, wenn sich sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Beschäftigten Vorteile ergeben und die Effizienz und Produktivität nicht leidet. Das können und sollten jedoch nicht die Arbeitsgerichte, sondern ausschließlich die Betriebsparteien prüfen und einvernehmlich organisieren. Denn zu viele betriebliche Faktoren spielen bei der Frage, ob die Einführung von Home-Office sinnvoll ist, eine Rolle – das gilt auch und insbesondere für die derzeit noch unsichere Befundlage zur Produktivität: Sie ist nämlich schwierig zu messen, es gibt wenig standardisierte Messinstrumente und die subjektive Sicht der Befragten ist zwischen Beschäftigtensicht und der Sicht der Führungskräfte mehr als heterogen. Unstreitig dürfte sein, dass die Gewährleistung von persönlichem Austausch und Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls letztlich nur aus Begegnungen und Zusammenarbeit vor Ort resultieren kann.