Jahresrück- und Ausblick 2022/2023 (21.12.2022)
Zum Jahresende blickt der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der Metall- und Elektroindustrie Rhein-Wupper e.V. und der Unternehmerschaft Rhein-Wupper e.V., Rechtsanwalt Andreas Tressin, auf das Jahr 2022 zurück und gibt einen Ausblick auf das kommende Jahr:
Rückblick 2022
Die Unternehmen standen 2022 am Limit:
Unsere Gesellschaft hat sich an immer schlechtere Standards d.h. ans Mittelmaß gewöhnt.
Die Unternehmen standen 2022 am Limit: Energienot, Rezessionsangst, Politikfrust – und wer hätte gedacht, dass wir uns in Europa überhaupt noch einmal einer kriegerischen Auseinandersetzung gegenübersehen. Überall mussten die multiplen Bedrohungsszenarien gemanagt werden, also Corona, Lieferengpässe, Materialmangel, stark gestiegene Preise bei Vorprodukten, Frachtkosten, Rohstoffen und vor allem bei den Energiekosten. Immer wieder rieb man sich die Augen und erwachte in neuen Welten. Alte Erfolgsmodelle scheinen nicht mehr zu tragen, neue Konzeptionen, seien sie politisch oder wirtschaftlich motiviert, lösen eher Zukunftsängste als Zukunftseuphorie aus. Manche sind im Erschöpfungszustand, sind müde und manchmal auch desillusioniert. Bei anderen war die Situation auch ein Stück weit surreal: Auf der einen Seite exzellente Auftragseingänge, auf der anderen Seite aber die weltweiten Probleme der gestörten Lieferketten und der dramatisch zunehmende Mangel nicht nur an Fachkräften, sondern an Arbeitskräften überhaupt. So berichten mittlerweile über 75 % der Betriebe branchenübergreifend über erhebliche Engpässe beim Personal mit der fatalen Folge, dass Aufträge verspätet abgearbeitet oder teilweise sogar überhaupt erst gar nicht angenommen werden konnten. Immer mehr Unternehmen mussten auf Rücklagen zurückgreifen, um das Geschäft überhaupt am Laufen zu halten; Geld was eigentlich für dringend notwendige Investitionen der großen Transformationsthemen vorgesehen war. Neben den steigenden Energiepreisen gab es für die Unternehmen aber noch eine zweite existenzielle Frage: Wie reagieren die Kunden auf Preiserhöhungen? Wie lassen sich insgesamt die gestiegenen Kosten auf die Kunden überwälzen? Die Gefahr wird jedenfalls immer größer, dass die Kunden ins preiswertere Ausland gehen. Die Sorge um eine Deindustrialisierung des Standortes Deutschland zieht sich mittlerweile immer mehr wie Mehltau über das Land; und so überrascht es auch nicht mehr, dass einzelne Unternehmen – wie zum Beispiel Lanxess nicht mehr in Deutschland investieren wollen. Ernüchternd ist der Faktencheck des Internationalen Währungsfonds (IWF) wonach Deutschland beim Wachstum mittlerweile die rote Laterne unter den großen Industriestaaten einnimmt.
Irgendwie scheint nichts mehr so richtig in diesem Land zu funktionieren. Das Schlimmste aber ist, dass sich unsere Gesellschaft an immer schlechtere Standards d.h. ans Mittelmaß gewöhnt hat, ob nun in der Politik, in der Bildung und auch bei den Verwaltungsverfahren.
Wir erinnern uns leider nur noch zu gut an das Desaster bei der Umsetzung der Gasumlage, bei dem die Politik offensichtlich aufgehört hat, sich für handwerkliche Fehler zu schämen oder daran, dass ein Fünftel der Viertklässler in Deutschland nicht einmal die Mindestanforderungen beim Lesen, in der Rechtschreibung und in der Mathematik erreichen und damit um ihre Zukunft gebracht werden. Und schließlich die Bürokratie – Lüge: Seit Jahren verspricht der Staat, die Unternehmen von unsinnigen Vorschriften zu entlasten. Tatsächlich ist es 2022 aber noch schlimmer geworden, weil unbestimmte Rechtsbegriffe Prozesse nur schwer justiziabel und damit kaum planbar machen und die überbordende Bürokratie die notwendigen Transformationsprozesse behindern oder in unvertretbarer Weise verlangsamen.
Die Unternehmen haben auch 2022 nicht nur mit dem Virus weiter leben und umgehen sondern auch die anderen Krisen bewältigen müssen. Es fehlte ihnen dabei jedenfalls nicht an Kreativität, Verantwortungsbewusstsein, Veränderungswillen und weiterhin auch an Pioniergeist.
Ausblick 2023
Die Unternehmen blicken mit Sorgen, großer Planungsunsicherheit und Pessimismus ins Jahr 2023.
Und auch in 2023 wird den Unternehmern kaum Zeit zum Luft holen bleiben, denn der Ukraine Krieg und die Energiekrise werden den Unternehmen weiter zu setzen. Und dann sind da noch die Turbulenzen in der Finanz – und Wirtschaftspolitik und die globalen Unsicherheiten. Die Energiepreise sind und bleiben der Unsicherheitsfaktor Nummer eins und die vollen Preiseffekte werden erst noch durchschlagen. Die Stimmung in den Unternehmen wird deshalb von Sorgen, großer Planungsunsicherheit und Pessimismus getragen. So zeichnet sich eine Investitionszurückhaltung, ein zunehmender Druck auf die Eigenkapitalquoten und ein erschwerter Kreditzugang ab.
Wirtschaftsminister Habeck hat Recht, wenn er den industriellen Kern bedroht sieht und deshalb eine aktive Industriepolitik fordert. Da wird es aber zunächst einmal darauf ankommen, ob es überhaupt einen gemeinsamen politischen Willen in der Koalition gibt, Deutschland als Industriestandort auch tatsächlich zu erhalten und Energie als Grundversorgung bereitzustellen. Den Worten müssen natürlich auch entsprechende Taten folgen. Den Unternehmen müssen vor allem die entsprechenden Freiheiten verschafft werden, um sich den Veränderungsprozessen auch erfolgreich anpassen zu können. Auf keinen Fall aber darf die Politik die Unternehmen noch weiter überfordern und mit Kosten belasten. Sie muss jetzt kraftvoll und zielgerichtet handeln. Die eigentliche Frage lautet also: Wer und vor allem was konkret hilft in den aktuellen Krisenszenarien den Unternehmen wirklich, wer schafft hier von der politischen Seite die richtigen und im Einzelfall auch umsetzbaren Rahmenbedingungen, die nicht zu noch größeren Belastungen führen und den Unternehmen die Spielräume verschafft, um die enormen Kosten für die anstehenden Transformationsprozesse zu erwirtschaften und zu finanzieren. Die Kernfrage also ist und bleibt: Wie schaffen wir international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen und dazu gehören natürlich auch und insbesondere nachhaltige wettbewerbsfähige Energiepreise.
Die im Bundestag beschlossene Energiepreisbremsen gehen mit ihren jetzigen Bedingungen insbesondere an Betrieben des energieintensiven Mittelstandes vorbei.
Zwar hat die Bundesregierung beim Gesetzesentwurf „Strompreisbremse“ grundsätzlich, basierend auf den Ergebnissen der „Expertenkommission Gas und Wärme“, einen im Ansatz breiten, einfachen und unmittelbar wirksamen Mechanismus vorgelegt, um die explodierenden Energiekosten zu durchbrechen. Leider muss man jedoch feststellen, dass durch die Summe an einzelnen Auflagen – von komplexen EBITDA Kriterien, über Garantien zum Standorterhalt, Höchstgrenzen für die Hilfen in Abhängigkeit von Energieintensität sowie Branchenzugehörigkeit – der Nutzen der geplanten pauschalen Preisbremsen insgesamt deutlich infrage steht.
Das ursprünglich gut gedachte Instrument geht mit seinen jetzigen Bedingungen insbesondere an vielen energieintensiven Betrieben vorbei. Die Rückmeldungen aus den Unternehmen sind alarmierend. In der jetzigen Form werden die Entlastungen bei vielen Unternehmen zu spät oder in erheblichem Umfang gar nicht ankommen. So manche könnten schon bald ihre Produktion weiter drosseln oder sogar einstellen müssen, weil sie die Extrempreise für Energie nicht schultern und deshalb schlicht nicht mehr kostendeckend produzieren können. Das würde Tausende von Arbeitsplätze entlang der Wertschöpfungsketten kosten. Offensichtlich ist die Dramatik der Lage in Teilen der Politik immer noch nicht angekommen. Das Thema muss jetzt oberste Dringlichkeit haben.
Das Gesetz ist viel zu kompliziert, in Teilen wirklichkeitsfremd und droht vielfach ins Leere zu laufen. Die strikte Kopplung der Hilfen an künftige Betriebsergebnisse in Form der EBITDA-Kriterien macht die Instrumente für viele Betriebe entweder völlig unkalkulierbar oder betriebswirtschaftlich wirkungslos. Der EU-Beihilferahmen muss jetzt kurzfristig angepasst und dann in den deutschen Energiepreisbremsen umgesetzt werden. Da ist der Einsatz der Bundesregierung gefordert. Außerdem muss sie schleunigst die bürokratischen Sonderregelungen zurücknehmen, die sie sich selbst ausgedacht hat. Das gilt für die Vorgaben zur Erklärung von Standort- und Beschäftigungssicherung, die an der Realität vorbeigehen und für viele Unternehmen schlicht nicht zu erfüllen sind. Auch das Verbot von Boni und Dividenden ist ideologisch und wirklichkeitsfremd. Die Regelungen gefährden Zukunftsinvestitionen. Es muss jetzt alles getan werden, um industrielle Wertschöpfung in unserem Land zu halten. Die Fehler müssen deshalb schnellstens korrigiert werden. Unsere Unternehmen brauchen nun schleunigst Kalkulationssicherheit.
Kurzfristig benötigen wir, wie gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Leverkusen, der IHK, der Kreishandwerkerschaft und den Wirtschafts-Senioren gefordert, eine unverzügliche weitere Ausweitung der inländischen Energieerzeugung. Jedes verfügbare Kilowatt muss ans Netz: Jede Energiequelle unter Einschluss von Kohle und Kernkraftwerken sowie Biogasanlagen muss genutzt werden, um einerseits Versorgungssicherheit herzustellen und durch ein größeres Angebot den Preiswettbewerb zu forcieren. Dafür braucht es auch einen realistischen Plan, der aufzeigt, wie der Ausstieg aus der Kohle bis 2030, der Aufbau von Ersatzkapazitäten, der Ausbau der regenerativen Energien und der Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft synchronisiert wird, damit es nicht zu einer instabilen oder lückenhaften Versorgung kommt. Darüber hinaus müssen bürokratische Hürden abgebaut werden, um Alternativen zur derzeitigen Energieversorgung kurzfristig auch umsetzen zu können. Und langfristig brauchen wir nun endlich einen Masterplan für ein international wettbewerbsfähiges Energiemarkt – Design mit einem zügigen Ausbau und einer weitestgehende Nutzung aller Potenziale der erneuerbaren Energien.
Es dringend auch eine steuerpolitische Zeitenwende notwendig.
Darüber hinaus ist ganz dringend auch eine steuerpolitische Zeitenwende notwendig. Ein Einnahmeproblem des Staates ist jedenfalls trotz der Krise nicht zu erkennen, ganz im Gegenteil: Die Einnahmen sprudeln nach wie vor weiter und der Staat ist einer der großen Inflationsgewinner. Dem Staat mangelt es also nicht an Geld, der Politik aber ganz offensichtlich am Willen das Geld richtig zu verwenden. Statt über Steuererhöhungen zu philosophieren ist es an der Zeit, das Steuer – und Abgabensystem zu modernisieren und zu fragen, worauf der Staat verzichten kann. Die Liste der Einsparmöglichkeiten ist lang. Beginnen wir mit dem Ausbau des Kanzleramtes in Berlin für fast 800 Millionen Euro.
Die duale Ausbildung ist und bleibt der Schlüssel zur Fachkräftesicherung.
Die duale Ausbildung ist und bleibt der Schlüssel zur Fachkräftesicherung und damit ein Grundpfeiler für die Stärke der heimischen Wirtschaft. Wir müssen deshalb die duale betriebliche Berufsausbildung weiter ausbauen. Natürlich wirkt sich die steigende Digitalisierung auch auf die Ausbildungsberufe aus. Digitale Kompetenzen, wie beispielsweise Prozesswissen, Analysefähigkeiten und die Fähigkeit, Daten richtig interpretieren zu können, gewinnen deshalb zunehmend an Bedeutung und müssen dementsprechend auch im Zuge der betrieblichen Ausbildung stärker vermittelt werden. Wir werden die vorbezeichneten Änderungsbedarfe kommunizieren und uns dafür einsetzen, dass sie in den Ausbildungsordnungen auch technologieoffen formuliert werden mit definierten Mindeststandards, damit Raum bleibt für die Anpassung an unterschiedliche betriebliche Erfordernisse und an die technische Entwicklung. Zudem gibt es eine Reihe von wählbaren Zusatzqualifikationen, um den im Digitalisierungsprozess unterschiedlich aufgestellten Betrieben die Möglichkeiten zu geben, gezielt Kompetenzen für den digitalen Wandel aufzubauen. Auch hier werden wir den Unternehmen mit unseren vorhandenen Infrastrukturen im Wuppermann Bildungswerk unterstützend zur Seite stehen und die Erweiterung eines flächendeckenden Netzwerkes für die berufliche Bildung forcieren.
Wir warnen vor einem neuen „Verwaltungsmonster“ bei der Arbeitszeiterfassung.
Von einem weiteren „Verwaltungsmonster“ bei der Arbeitszeiterfassung sei der Gesetzgeber im Übrigen schon jetzt gewarnt. Keinesfalls darf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts falsch interpretiert und den Betrieben mehr Aufzeichnungspflichten auferlegt werden.
Eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens zwei Stunden pro Woche ist alternativlos.
Und eine allarmierende Zahl des Instituts der Deutschen Wirtschaft zu guter Letzt:
Wegen des demografischen Wandels fehlt den Unternehmen bis zum Ende des Jahrzehnts ein Arbeitsvolumen von sage und schreibe 4,2 Milliarden Arbeitsstunden. Bei dieser Faktenlage wird eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 2 Stunden pro Woche alternativlos sein, wenn wir die sinkenden Arbeitskräftepotentiale nicht weiter dramatisch verschärfen und uns nicht weiter allein auf eine qualifizierte Zuwanderung von potenziellen Erwerbspersonen verlassen wollen.